Quadratmeter war gestern

Was für ein Gewusel! 40.000 Menschen. Stellen Sie sich das vor! Alle auf einem Fleck, die meisten im uniformen Anzug und manche mit geschmackloser Krawatte geschmückt, sie drängeln sich in wenigen Tagen alle teigartig auf dem Messegelände in München aneinander vorbei. Was machen die alle auf dieser Immobilienmesse? Bestimmt Wichtiges besprechen.
Okay, sie investieren Milliarden in Immobilien, und am liebsten sind Ihnen Wohnungen, so aktuelle Analysen. Büros wollen sie weniger oder Handelsflächen, weil es wird ja eh nur mehr online gekauft.
Jetzt müssen diese armen Menschen trotz Digitalisierung nicht nur unentwegt verschwitzt von A nach B hetzen, es ist für sie auch nicht mehr so leicht wie früher, in der stets als besser erachteten, alten Zeit: einfach Quadratmeter einkaufen, fertig. Sie müssen sie sich mit der ganzen neuen Welt des Wohnens herumschlagen. Weil: Wohnen wurde so unglaublich variantenreich.
Tropenwälder!
Da gäbe es z.B. dieses Co-Living. Und das gibt es wirklich, das ist kein Zeitungs-Schmäh. Ganze Wolkenkratzer werden in London in eigene Co-Living-Welten umgebaut. In New York digitalisiert Common Nachbarschaften und Habyt baut gleich ein globales Netzwerk von flexiblen Apartments.
Die Nachhaltigkeit mussten die Damen und Herren mit Kapital früher auch nicht beachten. Wer heute ohne sie baut, ist raus. Schauen Sie sich den One Central Park in Sydney an, wie er Hochhäuser in vertikale Gärten verwandelt. In Singapur wachsen Tropenwälder an den Fassaden. Zürcher Baugruppen machen Sharing und Solarenergie zum Standard, auch Wiener Wohnprojekte haben viel soziale Nachhaltigkeit vorzuweisen.
Nicht alles geht gut
Und dann mischt sich auch noch die Technik ein. Wohnungen reden mit dem Handy, Häuser mit der Stadt. Südkoreas neu erschaffener Stadtteil Songdo zeigt, wie nach Smart-City-Logik gebaut werden kann. Toll schaut das aus, ich sag’s Ihnen! Bloß will dort keiner wohnen. Zu steril, irgendwie falsch geplant, sagen sie und ziehen anderswo hin. Diese Wohnungen sollten die Investmenttypen besser nicht gekauft haben …
Während die Jungen für eigenes Student Housing viel Geld zahlen, entdecken wir in Europa langsam Wohngemeinschaften für die „Silver Generation“. Humanitas in Holland mischt überhaupt gleich Studenten in Senioren-WGs hinein. Lifestyle kennt kein Geburtsjahr.
Fertig? Noch lange nicht. Da gibt es noch den Hospitality-Bereich, der übrigens bei den Immo-Investoren nach wie vor ebenso beliebt ist. Schließlich ist er letztlich auch eine Spielart des Wohnens – ob Hotelzimmer oder die immer populärer werdenden Apartments, in denen die Eigentümer:innen Rendite und Urlaub zugleich machen.
Ich könnte noch das halbe Internet mit weiteren Beispielen vollschreiben, Fakt ist aber, dass Wohnen viele Formen angenommen hat. Das macht es für die Investmentmanager:innen auf der Münchener Immobilienmesse nicht leichter. Alle anderen hingegen haben mehr Auswahl und es wird bunter. Gut so, da verzeihen wir auch die schlechten Krawatten.

Heimo Rollett
Ist seit über 20 Jahren als Journalist tätig.
Er ist Chefredakteur, Herausgeber, Reisereporter und Moderator.